Jüdische Gemeinden – Von liberal bis orthodox
1870 – 1933
1874 gründen Gelsenkirchener eine eigenständige jüdische Gemeinde. Sie kommt ab 1884 in einer neuen Synagoge in der Nähe des Neumarkts zum Gebet zusammen. In Buer und Horst bilden sich Untergemeinden der jüdischen Gemeinde in Dorsten. An der Maelostraße in Buer wird 1922 eine Synagoge eingeweiht.
Einen Rabbiner hat die Gemeinde in Gelsenkirchen erst ab 1914. Es ist der aus Königsberg stammende Siegfried Galliner. Die Untergemeinde in Buer wird vom Prediger und Lehrer Gustav Bär betreut, der seit 1913 in Buer lebt.
Diese Gemeinden sind wie die meisten zu dieser Zeit liberal ausgerichtet. So beten und singen sie nicht nur auf Hebräisch, sondern auch auf Deutsch. Eine Orgel begleitet die Gottesdienste in der Gelsenkirchener Synagoge und die Frauen sitzen zwar auf einer Empore, allerdings nicht hinter Gittern oder Wandschirmen, wie dies nach orthodoxer Regel üblich gewesen ist.
Orthodoxe Juden und Jüdinnen, die die religiösen Regeln strenger auslegen, nutzen eigene Betsäle, wie an der Armin-, Bahnhof- und Husemannstraße. Einer getrennten orthodoxen Gemeinde verwehrt jedoch die Bezirksregierung 1920 und 1925 die offizielle Anerkennung.
Statut für die Synagogen-Gemeinde zu Gelsenkirchen, 20. Dezember 1873.
Im August 1870 gründen Gelsenkirchener Juden und Jüdinnen, die bis dahin noch zur Wattenscheider Gemeinde gehören, eine „Synagogen-Gesellschaft“, aus der die ab 1874 eigenständige Gemeinde hervorgeht. Im gleichen Jahr erwirbt die Gemeinde ein Friedhofsgrundstück an der Wanner Straße in Bulmke. Den ersten Vorstand der Gemeinde bilden L. Weinberg, Simon Rubens und Joseph Rubens.
(Institut für Stadtgeschichte, Gelsenkirchen)
Einladung zur Wahl von Repräsentanten der Synagogengemeinde Dorsten, 28. März 1899.
Auch Mitglieder aus Buer und Erle sind zu der Wahl am 4. April 1899 eingeladen, so die Kaufleute Leo Röttgen, Josef Waldeck, Adolf Cohen sowie der Metzger Feodor Isaack.
(Institut für Stadtgeschichte, Gelsenkirchen)
Synagoge der jüdischen Gemeinde Gelsenkirchens in der Neustraße, errichtet 1884/85, auf einer Ansichtskarte des Neumarkts, um 1905
Von dem 1938 zerstörten Gebäude mit den Zwillingstürmen und einem großen Davidstern über dem Portal sowie dem Gemeindehaus daneben sind kaum Fotos erhalten.
(Sammlung Jürgen Alef)
Luftbild der Gelsenkirchener Innenstadt mit der Synagoge an der Neustraße, um 1929 (Ausschnitt, leicht gedreht).
(Institut für Stadtgeschichte, Gelsenkirchen)
Luftbild der Gelsenkirchener Innenstadt mit der Synagoge an der Neustraße, Datierung (Ausschnitt).
(..Bild noch grob beschreiben, welche Kirchen, Plätze, Hauptstraßen sind zu sehen)
(Institut für Stadtgeschichte, Gelsenkirchen)
Innenraum der 1922 eingeweihten Synagoge in Buer, Foto nach 1928.
Für die Gottesdienste steht ein etwa 12 mal 10 Meter großer Saal zur Verfügung. Der zuvor schlichter gestaltete Raum hat 1927/28 eine neue Innenausstattung erhalten, so diese expressionistisch ausgemalte Kuppel. Synagogen sind nach Osten, also Richtung Jerusalem, ausgerichtet. An der Ostwand (linkes Bild) befindet sich der Thoraschrein (Aron haKodesch) mit den Thorarollen; in der Mitte des Raums die Bima, ein Vorlesepult, an dem aus der Thora und anderen Schriften gelesen wird.
(Institut für Stadtgeschichte, Gelsenkirchen)
Innenraum der Gelsenkirchener Synagoge von 1884/85, Blick auf die Ostwand mit dem Thoraschrein. Seitlich ist die umlaufende Empore zu erkennen. Die Gestaltung im Stil des Historismus und die Raumaufteilung des Gebäudes sind stark an Kirchen orientiert. Ein Exemplar dieses mehrfach überlieferten Fotos hat Leo Gompertz nach seiner Flucht nach New York dem Leo Baeck Institute übergeben.
(Fotograf: unbekannt; Leo Baeck Institute, New York)
Grundriss des Erdgeschosses und der Empore der Gelsenkirchener Synagoge.
An der Ostwand befindet sich der Thoraschrein (hier oben). Auf der Empore sind seitlich die Sitzplätze für Frauen; an der Westwand (hier unten) befinden sich die Orgel und Sitze für den Synagogenchor.
Die Synagoge ist 1884/85 nach Plänen des Architekten Peter Zindel gebaut worden, der zahlreiche Kirchen und andere öffentliche Bauten im Ruhrgebiet entworfen hat, so in Gelsenkirchen die evangelische Kirche am Schalker Markt (1882), die Evangelische Altstadtkirche in Gelsenkirchen-Mitte (1882-1884) sowie das Rathaus in Wattenscheid (1883-1884).
(Institut für Stadtgeschichte, Gelsenkirchen, Hausakte Gildenstraße 4/6)
Gemeindehaus der Synagogengemeinde Gelsenkirchen, rechts neben der Synagoge, Planzeichnung von 1937.
Hier nutzt die Gemeinde einen Raum als Betsaal, bis die Synagoge unmittelbar links neben diesem Haus 1885 fertig gestellt wird. Ebenso befindet sich hier die jüdische Schule, die in den 1890er-Jahren in einen Neubau an der Ringstraße umzieht. Noch während des Nationalsozialismus genehmigen die städtischen Behörden 1937 der Synagogengemeinde, dieses Haus durch einen Anbau im Hof und den Ausbau des Dachgeschosses zu erweitern. Das Haus wird in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 ebenso wie die Synagoge zerstört und anschließend auf städtische Anordnung hin auf Kosten der Gemeinde abgerissen.
(Institut für Stadtgeschichte, Gelsenkirchen, Hausakte Gildenstraße 4/6)
Fassadenzeichnungen und Grundriss der Synagoge in Buer vom Architekten Carl Dellweg, Essen
(Stratmann, Die Synagoge in Buer 1922-1938, Titel)
Die Synagoge in Buer bei ihrer Einweihung im Jahr 1922. Der Raum ist wesentlich schlichter ausgestattet als später, nach dem Umbau 1927/28. Im Bauantrag für den Umbau erklärt die Synagogengemeinde dies wie folgt: „Die […] Verhältnisse gestatteten es nicht, dem Inneren des Hauses eine seiner Würde entsprechende Ausstattung zu geben“, was auf finanzielle Probleme hindeutet.
(Institut für Stadtgeschichte, Gelsenkirchen)
Zeitungsartikel zur Einweihung der Synagoge in Buer, ca. 10. November 1922
(Institut für Stadtgeschichte, Gelsenkirchen)
Es ist ein weiter schlichter Raum voll Stimmungsgehalt und einer ausgezeichneten Akustik. Gedämpft fällt das Licht durch bleiverglaste bunte Fenster mit Glasmalereien, die die zehn Gebote Moses und die jüdischen Embleme (zwei gestürzt aufeinander gelegte gleichschenklige Dreiecke) darstellen. Die Decke wölbt sich zu einem blaubemalten Himmel, aus dem die Sterne golden leuchten.
Läufer ziehen sich über den mit Holzasphalt belegten Fußboden. Das Gestühl, durch einen breiten Mittelgang geteilt, bietet rund 300 Personen Platz. Eine breite Treppe führt hinan zum Pult des Orchesters und zum Heiligenschrein. Dunkelblauer Samt bedeckt das Pult und ein schwerer Vorhang aus gleichartigem Stoff in derselben Farbe trennt das Allerheiligste.
Zeitungsartikel vom 10. November 1922
(Institut für Stadtgeschichte, Gelsenkirchen / Dank an Herrn Dr. Lutz Heidemann, Gelsenkirchen, für inhaltliche Hinweise)
Text- und Liedblatt zur Feier des Versöhnungsfestes (Jom Kippur, höchster jüdischer Feiertag) in der Synagogen-Gemeinde Gelsenkirchen, um 1900.
Texte und Lieder sind in deutscher Sprache abgedruckt. Das Dokument gehört zu den wenigen erhaltenen Schriftstücken der Gelsenkirchener jüdischen Gemeinde vor der Schoah.
(Leo Baeck Institute, New York, Sign. AR 2424)